14.09.22 – thurgaukultur.ch: Liebe und Hass: Die Welt der Ambivalenzen

von Brigitte Elsner-Heller

Liebe und Hass: Die Welt der AmbivalenzenXaver und Matilda begegnen sich 16 Jahre nach Ende ihrer Beziehung. Keine einfache Situation. (Susanne Odermatt und Patrick Boog). | © Brigitte Elsner-Heller

„Die Deutschlehrerin“ kommt als Eigenproduktion von Susanne Odermatt im Eisenwerk Frauenfeld auf die Bühne.

Sechzehn Jahre. Das können Jahre sein, die wie im Flug vergehen, es kann aber auch eine Zeitspanne sein, die ein Leben komplett anders ausrichtet. Und was sind sechzehn Jahre, wenn sich ein Paar wieder begegnet, das einst ein Liebespaar war? Was will dieser Zufall im Leben zweier Menschen – wenn es denn überhaupt ein Zufall war? Was wird passieren? Oder noch viel bedeutsamer: Was ist alles passiert?

Ein Roman auf der Bühne

Die Autorin Judith W. Taschler hat in ihrem Roman „Die Deutschlehrerin“ eine solche Begegnung entworfen, und da es sich um einen literarischen Text handelt, dürfte dies kaum eine harmlose Begebenheit sein. Xaver hat Matilda einst ohne Vorankündigung verlassen, hat eine andere Frau geheiratet, jünger und aus reichem Haus. Als Kinderbuchautor ist er bekannt geworden, während aus Matilda eine Deutschlehrerin geworden ist, die ihren Dienst versieht. Dass sie und Xaver sich bei einem Schreibseminar wieder begegnen – ein Zufall?

Xaver (Patrick Boog) erhält eine Einladung zum Workshop. Wie er auf Matilda treffen wird, weiss er noch nicht. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Judith W. Taschlers Roman, der psychologisch tiefgründig angelegt ist und dabei mit Elementen des Kriminalromans Spannung aufbaut, ist 2014 mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet worden. Und da der Stoff das Zeug dazu hat, über Buchdeckel hinaus zu wirken, ist er auch auf der Bühne gut aufgehoben. Thomas Krauss hat die Bühnenfassung geschrieben, deren deutsche Erstaufführung in diesem Jahr in den Hamburger Kammerspielen stattfand.

In die Schweiz kommt das Kammertheater für zwei Personen nun mit der Frauenfelder Schauspielerin Susanne Odermatt (Schauspiel und Produktionsleitung) und ihrem Schauspielkollegen Patrick Boog. Wie bei den beiden vorangegangenen Eigenproduktionen „Countdown oder das Ticken der Eieruhr“ sowie „Das kleine Pony“ führt Marcelo Diaz Regie, Andreas Wagner sorgt erneut für die Ausstattung.

Susanne Odermatt produziert „Die Deutschlehrerin“ und spielt Matilda. Bild: Brigitte Elsner-Heller

„Die Deutschlehrerin“ wird ab dieser Woche zunächst im Theater im Eisenwerk gespielt. Am Freitag dieser Woche, 16. September 2022, ist dort Premiere. Insgesamt neun Aufführungen sind geplant, auf das Eisenwerk in Frauenfeld folgen die Stationen Weinfelden, Kreuzlingen, Winterthur und Zürich.

Spannung bis zuletzt

Es ist nicht einfach, sich die „Lösung des Falles“ auszumalen, zumal es für ein Theater auch reizvoll sein kann, das Ende offen zu lassen – wobei die Regie dann eher auf die Ambivalenz setzt, die das Leben mit sich bringt. So viel sei hier vorab verraten: Es gibt in diesem Fall ein eindeutiges Ende, wie Marcelo Diaz sagt, und Susanne Odermatt, die als Matilda sicher gefordert ist, kann bei aller Dramatik des Geschehens auf der Bühne durchaus ein Stück weit beruhigen, was den Ausgang angeht: „Man ist befreit, man weiss, was läuft.“ Aber das ist nicht durchgehend so, der Theaterabend verspricht unvorhergesehene Wendungen. „Es gibt eine zentrale Stelle, wo Matilda ziemlich abdreht“, wirft Susanne Odermatt ein. „Es ist eine heftige Stelle, wo man nicht sicher ist, wer Matilda ist.“

Die alte Frage: Wie ticken Männer und Frauen?

Während Marcelo Diaz von der Theaterfassung begeistert ist, weil sie sehr genau gearbeitet sei und alle Stränge, die der Roman verfolgt, exakt nachzeichne, hat sich Susanne Odermatt zusätzlich den Roman zur Hand genommen, um sich der Figur der Matilda noch mehr anzunähern. Ambivalenz ist das Wort, das im Gespräch mit dem Theaterteam zum zentralen Begriff wird.

Auffällig auch, dass dabei mehr über Matilda als über Xaver gesprochen wird, der mit seinem egoistischen Verhalten, seinem Narzissmus, augenscheinlich den aktiveren Part spielte, als die langjährige Beziehung zerbrach. Liebe und Hass bestimmen das erneute Zusammentreffen, wobei Xaver in den ersten Emails, die er wegen des Schreibseminars mit Matilda austauscht, noch ganz unbefangen wirkt. „Er ist nicht so ambivalent, er ist eher klar“, sagt Marcelo Diaz dazu.

Matilda (Susanne Odermatt) reagiert verhalten auf Xavers Kontaktaufnahme per Email. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Klingt das alles noch nach einem Wiedersehen, das eben nicht nur gute Erinnerungen aufleben lässt, wird es ungleich spannungsreicher, als es um das kleine Kind geht, das verschwunden ist, und dessen Verlust die Ehe von Xaver und seiner neuen Frau offenbar zerstört hat. Und es geht immer auch um Karrieredenken und Narzissmus. Doch auch bei Xaver zeichnet sich ein Entwicklungsbogen ab. Marcelo Diaz hat das an das Peer Gynt-Thema erinnert, der in seiner Verblendung nicht erkannte, dass er das, was er suchte, längst gehabt hatte: Geborgenheit.

Konzentration bei den Proben

Während das Gespräch in lockerer Atmosphäre stattfand, verändern sich Susanne Odermatt, Patrick Boog, Marcelo Diaz und Andreas Wagner, sowie sie mit der Probe beginnen. Eine Mischung aus Konzentration und Anspannung begleitet die letzten Proben vor der Premiere am Freitag. Die Kostüme lassen Patrick Boog auf einmal auf seltsam schlacksige Art das Selbstbewusstsein eines vermeintlichen Gewinners ausstrahlen, und Susanne Odermatt wird in Kleid und Strickjacke zu einer Frau, die mehr existiert, anstatt zu leben. Stiefel zum Kleid? Nein, zu dominant. Lieber die klassischen Schuhe, die schon Generationen von Frauen zum Kleid trugen.

Das Team vor den Toren des Eisenwerks, wo die Premiere stattfindet: Andreas Wagner (Ausstattung), Marcelo Diaz (Regie), Susanne Odermatt (Produktion und Schauspiel) und Patrick Boog. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Das Saal-Licht wird gedimmt, und im Hintergrund ist nun der Musik der Griechin Eleni Karaindrou zu lauschen, während sich auf der ovalen Leinwand im Hintergrund Natur als Video (noch) beruhigend ausbreitet. Dann „begegnen“ sich Xaver und Matilda – weit voneinander entfernt allerdings, an zwei Mikrophonen stehend. Sie sprechen die Emails, die ausgetauscht werden, bevor sie sich schliesslich in der Wirklichkeit gegenüberstehen. Dass eine Pistole vor Probenbeginn versteckt wurde, lässt ahnen, dass das Stück viele Facetten zwischen Liebe und Hass auslotet.

Man wird sehen. Ein erstes Mal am kommenden Freitag im Eisenwerk.

13.09.22 – Tagblatt: Neues Theaterstück feiert Premiere im Eisenwerk in Frauenfeld

von Inka Grabowsky

Krimirätsel und Philosophiestunde im Eisenwerk: Neues Theaterstück erzählt in Frauenfeld von einer Trennung, einer Wiederbegegnung und der Suche nach dem Warum

Das Theaterstück «Die Deutschlehrerin» feiert im Eisenwerk Premiere. Die Hauptrollen spielen Susanne Odermatt und der Luzerner Patrick Boog. Die Geschichte erzählt von einer überraschenden Trennung, einer scheinbar zufälligen Wiederbegegnung und der Suche nach dem Grund für das Scheitern in der Vergangenheit.

Patrick Boog, er spielt den Ex-Partner, und Susanne Odermatt als die Deutschlehrerin im gleichnamigen Stück.
Patrick Boog, er spielt den Ex-Partner, und Susanne Odermatt als die Deutschlehrerin im gleichnamigen Stück.
Bild: Sandra Balli

«Wir sind am Anfang des Endspurts», sagt Schauspielerin Susanne Odermatt. Bald feiert «Die Deutschlehrerin» Premiere im Eisenwerk Frauenfeld. Odermatt spielt die Hauptrolle und hat die Produktionsleitung inne. Das Theaterstück, das Thomas Krauss nach dem Roman von Judith W. Taschler geschrieben hat, habe sie sofort gepackt. Es geht um eine Frau, die unvermutet von ihrem langjährigen Partner verlassen wird, ihn nach Jahren scheinbar zufällig wieder trifft und nun ergründen will, was damals passiert ist.

«Die Geschichte ist spannend wie ein Krimi, bei dem man bis zum Schluss mitraten kann ‒ aber hat eben auch Tiefgang.»

Susanne Odermatt, selbstständige Schauspielerin.
Susanne Odermatt, selbstständige Schauspielerin.
Bild: PD

Das sagt Odermatt über das Theaterstück. Als Gegenüber hat sie sich den Luzerner Schauspieler Patrick Boog ausgesucht. «Wir haben ein Casting gemacht und suchten eine Art Gigolo. Und dann kam Patrick, der gutaussehend, aber ganz anders ist. Es hat sofort gepasst.» Schauspielerisch seien die Rollen der Deutschlehrerin und ihres Ex-Partners anspruchsvoll. Wichtig sei, eine Verbindung zur Figur zu finden und ihr echte Emotionen zu schenken, erklärt Odermatt. Sie profitiere dabei sehr von der Erfahrung des Regisseurs Marcelo Diaz, den sie auch als Künstlerischen Leiter engagiert hat. «Wir arbeiten Szene für Szene heraus, was die Figuren gerade umtreibt. In Zusammenarbeit mit dem Partner ergibt sich vieles fast automatisch. Es ist magisch, wenn die Energie überspringt.»

Das Eisenwerk als idealer Partner

Im Hintergrund der Geschichte rund um die Deutschlehrerin und ihren Ex-Partner steht die Suche nach dem individuellen Glück und das Scheitern dabei. «Ich bin bekannt dafür, keine Gute-Laune-Stücke zu machen», sagt Odermatt.

Das Eisenwerk in Frauenfeld von aussen.
Das Eisenwerk in Frauenfeld von aussen.
Bild: Andrea Tina Stalder

«Man soll aber nicht zerstört, sondern bestenfalls aufgewühlt aus dem Theater gehen. In der Erkenntnis, warum man gescheitert ist, liegt ja auch ein Hoffnungsschimmer.»

Das Theaterstück erforderte umfangreiche Vorarbeiten. Odermatt erzählt: «Ich habe Anträge auf Fördergelder gestellt und diese auch bekommen. Und ich habe mit dem Eisenwerk einen Partner gefunden, der uns nicht nur für die Premiere engagiert hat, sondern auch den Theatersaal für die Endproben zu Verfügung stellt und bei der Werbung hilft.»

Das Team, in dem Andreas Wagner als Bühnenbildner und Jon Brunke als Techniker dabei sind, ist gespannt auf die Resonanz. Sowohl das Eisenwerk als auch Susanne Odermatt haben ein Stammpublikum. «Aber es scheint derzeit geradezu ein Überangebot an kulturellen Veranstaltungen zu geben», gibt die Schauspielerin zu bedenken. Immerhin geben ihr die Fördergelder die Sicherheit, das Team auch bezahlen zu können.

«Die Deutschlehrerin» läuft vom 16. bis 18. September im Eisenwerk, anschliessend am 29. Oktober im Theater an der Grenze in Kreuzlingen und am 30. November im Theater am Gleis in Winterthur. Weitere Informationen auf www.diedeutschlehrerin.ch